Anbauen, Weiterbauen, Umbauen, Umnutzen, Erweitern, Sanieren und Flicken – der Umgang mit bestehenden Bauwerken ist vielfältig und reizvoll, die Suche nach der Balance zwischen Substanzerhalt und neuen Anforderungen aus Nutzung und Betrieb eine ganz spezielle Herausforderung. Selten ist das Ergebnis einer derart heiklen Aufgabenstellung so stimmig und in allen Belangen gelungen wie in diesem Fall.
Tatsächlich erkennt man die erneuerten Bestandteile des Saaneviaduktes erst auf den zweiten Blick – die dezente neue Betonplatte auf der gesamten Viaduktlänge, die beidseitig auskragend die Fahrbahn auf zwei Spuren verbreitert – und das vollständig neue Stahlfachwerk, das sich unaufdringlich in die historische Bausubstanz einfügt.
Das bestehende Fachwerk aus genietetem Flussstahl war nach beachtlichen 120 Betriebsjahren am Ende seiner Nutzungsdauer angekommen, eine Erhöhung der Belastung durch den geplanten zweispurigen, schnelleren Betrieb mit vernünftigem Aufwand nicht mehr möglich. So war die Bauherrschaft zusammen mit der zuständigen Denkmalpflege bereits vor dem Wettbewerb zum Schluss gekommen, das Fachwerk zu ersetzen.
Wie aber ersetzt man ein so zentrales Bauteil, ohne plump zu kopieren, gleichzeitig jedoch der Geschichte den verdienten Respekt erweisend? Das hier entworfene Stahlfachwerk löst diese Aufgabe exemplarisch, indem es optisch die gekreuzte Stabanordnung übernimmt, statisch und ausführungstechnisch hingegen dem Fortschritt der letzten 120 Jahre Rechnung trägt. Der Kraftfluss im Fachwerk ist ablesbar an der steiler werdenden Anordnung der Kreuze zu den Auflagern hin und dem zur Fachwerkmitte hin ansteigenden Querschnitt des Zuggurtes. Aus den Blechen werden Hohlprofile, aus den vielen Nieten moderne Schweissverbindungen, selbstverständlich ermüdungsgerecht optimal ausgearbeitet und gegen Korrosion geschützt.
Die Erneuerung des Saaneviaduktes ist ein Projekt, dessen Raffinesse sich dem Betrachter erst auf den zweiten Blick erschliesst, dessen genial subtiler Ausarbeitung man sich aber mit zunehmender Betrachtungsdauer immer weniger entziehen kann. Ein grosses Lob geht dabei an die Planenden und Ausführenden für diese statisch und gestalterisch äusserst elegante Umsetzung einer kniffligen Aufgabenstellung. Gleichzeitig ziehen wir insbesondere den Hut vor dem Mut der Bauherrschaft und der involvierten Denkmalpflege, diese Art der (Teil-) Erneuerung zu erlauben und damit den Weg zu bereiten das Denkmal Saaneviadukt weitere 100 Jahre nutzen zu können.
22. Juni 2021 | Jacqueline Pauli